Jedes Jahr Anfang Februar fällt Italien für vier Tage ins kollektive Fernseh-Koma. Dann gibt es kein anderes Thema, dann ist Schlagerfestival in Sanremo. Jeden Abend wird die Show bis weit nach Mitternacht im staatlichen Sender RAI live übertragen. Und alle Italiener schauen, egal wie alt sie sind und welchen Bildungsstand sie haben. Allein am Abend des Finales waren es 13,3 Millionen Menschen. Da kann kein Tatort mithalten. „Das war eine kollektive Psychotherapie, die wir alle nötig hatten“, erklärte Stefano Coletta, der TV-Direktor von RAI 1, den Erfolg. Auch Italien ist coronamüde.

Gewonnen haben in dieser 72. Ausgabe des Festivals Mahmood und Blanco mit ihrem Song „brividi“, auf Deutsch „Gänsehaut“. Die beiden Jungs lieferten ein Duett mit romantischen Tönen und Rap-Elementen, Mahmood, 29, ist bereits ein etablierter Star, seit er vor drei Jahren das Nachwuchsfestival von Sanremo gewann und Italien beim Eurovision Contest in Israel vertrat.  Der Rapper Blanco, der eigentlich Riccardo Fabbriconi heißt, ist erst 18 und am Beginn seiner Karriere. Im Mai singen die beiden „brividi“ für Italien beim Eurovision Song Contest in Turin.

Besonders eingängig ist der Siegersong nicht, das war früher anders, als Schlagergrößen wie Adriano Celentano Sanremo mit Liedern gewannen, die jahrelang in jeder Pizzeria liefen. Dafür ist der Text für italienische Verhältnisse recht freizügig und spricht Homosexuelle wie Heteros an. Eine Kostprobe: „Hau‘ nicht ab, ich möchte dich lieben, aber ich kriege es nicht hin und bekomme Gänsehaut.“

Das ist natürlich alles gezieltes Marketing für die neuen Zielgruppen. Dazu passte der „genderless look“ der beiden: Mahmood im langen schwarzen Rock, mit weißem Hemd und Lederkrawatte. Zum  Staunen das Outfit von Blanco: Zu einer weißen Marlene-Dietrich-Hose trug der Rapper eine hochgeschlossene cremefarbene Bluse mit Rüschen und mit Glitzersteinchen bestickt, die so transparent war, dass man die reichlichen Tatoos auf dem Oberkörper gut sehen konnte. Entworfen haben die Outfits die Modehäuser Burberry und Valentino. Und auch Prada, Gucci und die anderen staffierten die Sänger in Sanremo aus.

Diesen Sommer wird man den Look vermutlich auf der Straße in Rom oder Mailand sehen. In Deutschland dann – wenn überhaupt – in zwei, drei Jahren – so lange braucht im Schmitt ein neuer Trend aus Italien.