Das Geheimnis des Kerkers

In seinem Schloß in Gioia del Colle hielt sich der Stauferkaiser Friedrich II. besonders gerne auf, denn dort war auch seine Geliebte Bianca Lancia. Aber stimmt die Geschichte oder ist sie bloß eine Legende?

Friedrich II. sitzt im Thronsaal. Der Staufer ist gerne hier in Gioia del Colle. Er bleibt mal ein paar Monate, mal ein paar Tage. Einen festen Wohnsitz hat der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs  nicht, Zeit seines Lebens zieht er mit dem ganzen prächtigen Hofstaat von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt, von Palermo über Foggia und Lucera bis Cremona, von Aachen und Hagenau bis zum Stammschloss der Staufer in Hohenstaufen.

Die Rückenlehne des steinernen Throns am Kopfende des Saales ziert ein Fries mit stilisierten Falken – eine Anspielung auf Friedrichs Liebe zur Falkenjagd. Das Feuer im Kamin brennt. Nebenan tragen die Diener das Essen auf.

Da kommt Bianca Lancia aus ihren Gemächern im Südturm der Burg. Sie ist die große Liebe Friedrichs, aus Standesgründen kann er sie aber nicht heiraten. Das tut er erst, als sie im Sterben liegt und damit erkennt er ihre gemeinsamen Kinder als legitime Erben an, vor allem seinen Lieblingssohn Manfred, der sein Erbe übernimmt.

Es ist eine perfekte Idylle und genau die richtige Geschichte für die Besucher des Stauferschlosses im Zentrum des Städtchens Gioia del Colle. So könnte es vielleicht gewesen sein in den Jahren um 1230 – vielleicht auch nicht. Es gibt auch viele andere Geschichten rund um Friedrich.

Eine besonders gruselige erzählt der Museumsführer im Verlies der Burg, ein quadratischer Raum mit einem winzigen Fenster oben in der Decke, zu dem man über steile Steinstufen hinabsteigt. Die Geschichte geht so: Als Bianca ihr drittes Kind erwartet habe, soll Friedrich – längst wieder unterwegs – einen Eifersuchtsanfall bekommen haben. Er habe Bianca in diesen Kerker sperren lassen. Sie bringt einen Sohn zur Welt, Manfred, und schickt ihn zu Friedrich, dazu auf einem Silbertablett ihre abgeschnittenen Brüste – wie schaurig!  An der Wand ist tatsächlich eine weibliche Brust in den Stein gehauen zur Erinnerung an die schreckliche Tat.

Doch Stopp. „Das ist alles Legende“, sagt Rossana D’Addabbo, Archäologin im Museum in Gioia del Colle. „Bianca Lancia ist zwar wie Friedrich eine historische Person, eine Adlige aus dem Piemont, 1210 geboren und ungefähr 1248 gestorben. Sie hatte drei Kinder mit Friedrich. Es ist jedoch nicht belegt, dass sie hier lebte und hier Manfred zur Welt brachte und starb“, sagt sie. „Es gibt einige Schriftstücke und Quellen aus späteren Jahrhunderten, aber die sprechen allgemein von einer Frau, die im Kerker gesessen habe, aber nicht von Bianca.“

Und auch der Thron im Obergeschoß des Schlosses ist nicht echt. „Der wurde 1907 gebaut, als die Burg restauriert wurde“, sagt die Archäologin, „doch der Falkenfries und die anderen Teile, aus denen er zusammengesetzt wurde, die sind echt, ebenso wie die Kamine.“

Die Restaurierung des Schlosses, das Friedrich von den Normannen übernahm, und das er um 1230 umbauen ließ, war eine weise und vorausschauende Entscheidung für den Tourismus. Kein anderes der vielen Stauferschlösser in Apulien – und Friedrich ließ sehr viele bauen und entwarf viele auch selbst – ist so komplett und gut zu besichtigen und kein anderes liegt so mitten in einer Stadt. Hier ein virtueller Rundgang:

https://3dimpact.poliba.it/vt/architecture/12/

Natürlich gibt es Castel del Monte, Friedrichs berühmtesten Bau, doch der ist leer. Die achteckige Burg im Norden Apuliens, die rätselhaft allein dort in der Landschaft steht, diente nicht zum Wohnen – Archäologen fanden keine Küchen und Haushaltsräume. In Lucera, wo seine sarazenische Leibgarde und die Tänzerinnen aus dem Orient lebten, stehen nur noch ein Turm und ein Stück Mauer. Von anderen Burgen oft nur noch Ruinen. Und das Stauferschloss in Bari, die große Festungsanlage, wurde seit Friedrichs Zeiten immer wieder umgebaut.

Im Erdgeschoss der Burg in Gioia del Colle ist das 2015 komplett neu eingerichtete nationale archäologische Museum untergebracht, durch das Rossana D’Addabbo die Besucher führt. Alle Erklärungstafeln sind auch auf Englisch. „Unser Prachtstück ist eine große korinthische Vase aus der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts vor Christus“, sagt sie, „die haben wir bei Ausgrabungen hier in der Nähe am Monte Sannace gefunden, sie zeigt den Kampf von Achilles und Agamemnon im trojanischen Krieg.“

Endlich ist nach dem langen Corona-Lockdown das Schloss wieder für Besucher geöffnet. Und auch die „Trattoria pugliese“ in der Via Concezione genau gegenüber dem Eingang. Dort gibt es natürlich auch orecchiette con cime di rape, das Nationalgericht Apuliens. Ob es das schon zu Friedrichs Zeiten gab, weiß man nicht. Überliefert ist aber, dass er nur einmal am Tag aß und Gemüse bevorzugte.

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